Da endet vor unseren Augen im Schnabel einer noch unerfahrenen Silbermöwe ein Aalleben. Sie fischte den Aal aus dem Wasser und zog ihn auf einen Steg. Der Aal ringelte und wand sich so sehr, dass sie ihn losließ und er Zuflucht im rettenden Wasser suchte. Doch seine Sicherheit war nicht von langer Dauer: Die Möwe holte sich den Fisch erneut aus dem Wasser und fügte ihm tödliche Verletzungen zu.
Allein es nützte dem Vogel nichts: der Brocken war zu groß für die junge Möwe und so schnappte ihr eine erfahrene adulte Silbermöwe den großen Leckerbissen weg. Und eine noch größere Mantelmöwe versuchte anschließend, ihr die Beute ebenfalls streitig zu machen.
Dieser Aal jedenfalls schlüpfte vor vielen Jahren im Atlantik, genauer gesagt in der Sargassosee vor der amerikanischen Küste, in einer Tiefe von bis zu 2000 Metern aus dem Ei. Er machte sich damals als Larve auf eine drei Jahre dauernde Reise nach Europa. Etwa hundert Kilometer vor der europäischen Küste wandelte er sich zu einem sieben Zentimeter langen Aal. Als fertiger Fisch begann er nun seinen Aufstieg über die Binnengewässer in das Landesinnere und konnte dabei sogar Strecken über Land zurücklegen, denn er hatte die Möglichkeit, den lebensnotwendigen Sauerstoff über die Haut aufzunehmen. In den folgenden Jahren wuchs der Aal. Die weiblichen Aale werden dabei mit einer Länge von 80 Zentimetern deutlich größer als die männlichen Vertreter mit nur rund 50 Zentimetern.
Geschlechtsreif werden die Männchen schon mit sechs bis neun Jahren, wohingegen die Weibchen erst mit zwölf bis fünfzehn Jahren geschlechtsreif werden. Übrigens können Aale ein Alter von bis zu achtzig Jahren erreichen. In Ausnahmefällen auch mal Hundert, wenn sie keine Möglichkeit zum Abwandern haben.
Die dämmerungs- und nachtaktiven Tiere ernähren sich von Würmern, Kleinkrebsen, Insektenlarven, Fischlaich und kleinen Fischen.
Dieses Aalleben endete nun vor unseren Augen und es ist dem Aal nicht vergönnt, seinen Körper erneut umzubauen für die lange Reise zurück in die Sargassosee. Aale stellen dann die Nahrungsaufnahme komplett ein und leben bei der ein bis anderthalb Jahre dauernden Reise ausschließlich von ihren Fettreserven. Am Ende ihres Lebens paaren sie sich dann und legen Eier für eine neue Generation ab.
Ein faszinierendes Dasein und eine spektakuläre Wanderung, die meistens an vielen menschgemachten Hürden wie beispielsweise Wasserkraftwerken endet. So ist der gesamte Bestand der Art in den letzten fünfzig Jahren rapide eingebrochen und der europäische Aal gilt schon seit vielen Jahrzehnten als vom Aussterben bedroht.
Die Möwen machen sich keine Gedanken über den Bestand und die Wandergeschichte der Beute. Sie freuen sich nur unter lautem Gezeter über diesen großen Leckerbissen.
Fotos: Oliver Borchert
Text: Katharina von der Heide